Eberhard Arnold

Liebesleben und Liebe

[Arnold, Eberhard and Emmy papers – P.M.S.]

EA 21/01

Liebesleben und Liebe

Ein Sonnherzer Bekenntnis

Im Neuwerk-Verlag Schlüchtern 1921

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Diese Handschrift ist dem Lebensbuch einer Jugendbewegung „Junge Saat“ entnommen, das um die Jahreswende 1920/21 im Neuwerk-Verlag Schlüchtern erschienen ist.

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Liebesleben und Liebe

In seinem ersten Weihnachtsspiel malt Dickens einen alten reichen Kaufmann, in dem fast der letzte Funken der Liebe erstorben war. Sein Leben war zugrunde gegangen, weil er ganz im Geldgewinnen aufgegangen war. Als wenn er ein Mensch ohne Herz gewesen wäre, ging nichts als Kälte von ihm aus. Dieser Todeshauch war so spürbar, dass kein Kind und kein Bettler auf der Straße daran denken konnten, ihn um Zeit und Stunde oder um die geringste Hilfe anzugehen. In Todeseinsamkeit lebte er ohne die kleinste menschliche Beziehung ein rein geschäftliches Dasein. Selbst seine Jugendliebe hatte er dem Geldgötzen geopfert. Alle reineren Hoffnungen waren von dem Streben aufgezehrt worden, sich in der großen bürgerlichen Welt Anerkennung und Fortkommen zu sichern, bis zuletzt jede edlere Regung vor dem Drang nach Gewinn erloschen war. Als ein Mann von gesichertem Vermögen war er ein Wesen ohne Seele geworden. Sein Streben war so gänzlich der Gemeinschaft der Menschen abgewandt, dass sein Sterben nur als Bestätigung eines längst eingetretenen Todeszustandes gelten konnte. Nur wenn der Geist seiner Jugend noch einmal erwachte, konnte seine einsame Kälte und Leere der Wärme Gottes weichen. Nur wenn er sich der alten Sehnsucht nach Liebe und Leben mit neuer Treue ergab, - wenn er alles verließ, was Leben und Liebe ertötet hatte, - konnte das Evangelium der Weihnacht ihm neues Leben bringen.

Niemand kann ohne Liebe leben. Ein liebeleerer Mensch ist ein alterndes und sterbendes, in Wahrheit ein totes Wesen. Wo die Liebe erkrankt oder entartet, ist das Innerste des Lebens vergiftet. Nur wo die Liebe ungehemmt zur Entfaltung gelangt, ist die Bejahung des Lebens gefunden. Wer Zeiten heißen Liebesdranges, stärkster Liebessehnsucht ungenutzt vorübergehen lässt, hat an seinem kostbarsten Vermögen denselben unschätzbaren Verlust erlitten, wie alle die, deren heiligste Kräfte in der schmutzigen Gosse vergeudet sind.

Die eigentliche Lebensfrage aller jugendlichen Menschen ist die Liebe. Ein jeder fühlt es, dass sein Schicksal die Liebe ist. In Stunden der Bangigkeit fürchten sich nicht wenige vor dem Liebesleben. Auch in der Jugend gibt es schwache Menschen, die die Liebe fliehen wie die Pest. Sie erscheint ihnen wie ein glühendes heißes Feuer, dem ihre furchtsame Seele aus dem Wege geht. Und andere, die ebenso wenig feuersicher sind, kommen der lodernden Glut zu nahe. Sie lassen das Haus ihres Lebens in schwelendem Feuer zerstören. Ihr äußerer Mensch verfällt, weil sie ihr inneres Menschentum verfaulen lassen, weil sie ihr Herz in unreiner Glut auskohlen wie einen erlöschenden Krater, anstatt es mit ewiger Sonnenkraft durchglühen und so ein reines Licht und echte Wärme weiterzugeben.

Für die meisten ist die Liebe ein Irrgarten, in dem sie keinen Schritt gehen können, ohne sich genarrt zu wissen. Sie haben das Geheimnis nicht entdeckt, wie sie den lebendigen Strom in die rechte Bahn lenken könnten. Sie fühlen es vielleicht, dass alle Liebe in Gott enden muss, wie alle Ströme ins Meer fließen. Sie merken, dass viel Wasser versickert, verdunstet oder verkocht, anstatt den Weg seiner Bestimmung zu finden. Auch wollen sie im Grunde nichts, was nicht Erfüllung ihres Wesens und des Wesens Gottes wäre. Aber es fehlt ihnen die Wesensschau, die die reine Urkraft der Liebe von ihren Schwächungen zu scheiden vermag.

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Der Deutsche hat heute für alle Grade der Liebe, ja für alle ihre Krankheiten und Abarten nur ein Wort. In dieser Einfachheit seiner Sprache liegt das Geheimnis der Liebe verborgen. Hier wird es geahnt, dass die Liebe das Eine Letzte ist, um das sich alles bewegt, was Leben ist, auf das sich alles bezieht, was Hoffnung bedeutet; von dem alles getragen wird, was lebendige Kraft atmet.

Alle Anziehungskräfte der Natur entstammen demselben Geheimnis der Liebe. Im großen Kosmos stellt die rhythmische Ordnung der sich umkreisenden Gestirne das monumentalste Bildwerk der Liebe dar. Keine Pflanze entsteht ohne Liebe. Kein noch so kleines Tier wird ohne Liebe ausgebrütet oder geboren. Nirgends kommen Menschen zueinander, nirgends werden Wesen gezeugt oder geboren, ohne dass ein Funke von Liebe seine Lebenswirkung entfaltet hätte.

Aber in der deutschen Sprache fehlt es an jener Unterscheidung zwischen „Liebe“ und „Liebe“, die zwischen Leib und Seele, zwischen Seele und Geist das gesunde und das kranke Verhältnis anzudeuten vermag. Der Grieche sieht einen klaren Unterschied zwischen der Begierde als der besitzergreifenden Lust, zwischen dem Eros und der körperseelischen Zuneigung und schließlich der Agape oder der heiligen Liebe, die als Liebe Gottes alles umfasst und sich allen schenken will.

In unserem Freundeskreis werden wir immer wieder vor die Frage gestellt, wie sich diese drei Gestaltungskreise der Liebe zueinander verhalten. Mancher neigt dazu, zwischen der besitzergreifenden Liebe und der körperlichseelischen Zuneigung jeden wesentlichen Unterschied zu leugnen. Andere wollen die heilige Liebe schenkenden Reichtuns scharf von der Berührung mit dem Eros abtrennen. Und ihre radikalsten Gegner bestreiten beharrlich die Existenz der Gottesliebe überhaupt, da es keine Liebesausstrahlungen ohne erotische Energien geben könne.

Wer dem religiösen Leben fernsteht, kann nicht anders urteilen. Wer aber erlebt hat, wie die Liebe Gottes buchstäblich über ihn ausgegossen worden ist, dass er sich von ihr überschütter und überstrahlt, ganz und für ewig in sie untergetaucht wusste, der kann niemals davon abgebracht werden, dass alle Liebeserlebnisse, welcher Art sie auch seien, nur Einzelstrahlen oder unsaubere und verzerrte Widerstrahlungen dieser einen unendlichen Lebenssonne sind. Er ist sich gewiss geworden, dass die heilige Liebe Gottes das allein Wesentliche in allem Liebesleben ist, dass es sich deshalb bei allem, was Liebe ist, um die eine Frage handelt, ob es diesem Lebenszentrum angehört oder sich von ihm entfernt hat.

Man hat darauf aufmerksam gemacht, dass in den Partien des Gehirns die religiösen und die Liebeserlebnisse benachbart sind. Diese Tatsache hat eine tiefe Symbolik und weist auf die letzten Wahrheiten hin; denn: „Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Auch die entartetsten und beschmutztesten Liebesempfindungen haben etwas Verborgenes von Gott in sich; aber ihre Entartung verzehrt als fressendes Gift alles Göttliche bis in den kleinsten Rest, so dass ein Mensch, der im Fleisch ertrinkt, für Gott und seine Liebe kein Auge mehr hat.

Wer seine Liebeenergien im Sinnesrausche verbraucht, entzieht den benachbarten Zentren alle Lebenskraft. Er entnervt und entgeistet sich für das göttliche Leben, er wird für die erhabensten Eindrücke stumpf, die von dem Herzen Gottes ausgehen. Sein Auge , für das Licht geschaffen, findet sich nur noch im Dunklen zurecht. Denn niemand vermag Gott zu schauen, der unrein ist. Die Innenschau der Seele erwächst nur aus der Reinigung des Herzens. Die Agape als Gottesliebe ist die reine Schau Gottes. Sie ist deshalb zugleich die Überflutung unseres gesamten Lebens mit der reinen

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Gotteskraft, die Liebe ist, ohne Gier und Begierde zu kennen. Es geht deshalb hier um die Frage, ob wir ein Erosleben der reinen Agape gewinnen können, während die Masse nur von dem Eros der Begierde weiß, der in seinem zerstörendsten Gestaltungen als ewig wechselnde Lust Besitz um Besitz austauscht.

Auf den ersten Eindruck scheinen sich die beiden Enden einer geraden Linie von einander undendlich zu entfernen. Wer aber das Geheimnis des Seins durchschaut, weiß es, dass sie sich in der Unendlichkeit treffen müssen, dass die uns sichtbare Gerade als ein unendlich kleiner Ausschnitt eines unendlich großen Kreises angesehen werden muss.

Die im gewöhnlichen Leben sichtbare Gerade ist in unserem Bilde das Gebiet des Eroslebens. Es ist die Erscheinungswelt in Zeit und Raum, in der Geisteswesen kein Verhältnis zu einander gewinnen können, ohne eine körperseelische Anziehung oder Abstoßung zu erfahre. Es ist die Sphäre des seelischen Seins, das Geben der Hände, das Finden der Auge, das Schreiten Arm in Arm, die Gemeinschaft in Wort und Gesang, in Wandern und Spiel, die Freundschaft und Gemeinschaft in Freude und Leid, in Glaube und Hoffnung, - die Lebensgemeinschaft der Menschen, ohne die wir nicht sein können.

In allem diesem Leben ist Gott. Das Wesentliche und Eigentliche alles Lebendigen und aller Gemeinschaft ist die Agape, die Liebe, die von Gott ist und die zu Gott führt. Es ist die Liebe, die nimmer aufhört und keine Grenzen kennt. Sie ist die Offenbarung des Transzendenten im Immanenten. Gott ist Liebe. Wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm. Deshalb mündet die uns sichtbare Linie der menschlichen Liebesbeziehungen in die Gottesgemeinschaft, in das Herz Gottes selbst. In seiner unerschöpflichen Ewigkeit und Unendlichkeit kommt die Liebe zweier Menschen oder die Gemeinschaft eines Freundschaftsbundes oder einer Gemeinde allein zu ihrer Erfüllung. Nur in diesen letzten Höhen gewinnen die Menschen die Kraft, ihr ganzes Leben mit Liebe zu durchströmen und alle ihre Gaben zur Entfaltung zu bringen. Nur in dieser Luft gewinnen sie die Reinheit, dass sie in der Welt des Eros frei von der Begierde besitzergreifender Lust Liebe ausstrahlen. An die Stelle des Sinnenrausches tritt hier schließlich die Ekstase des göttlichen Geistes, die von unteren Regionen aus als Askese angesprochen werden muss. Der Eros steht völlig unter der Herrschaft der Agape. An die Stelle des vereinzelten begehrlichen Willens ist der allesumfassende Geist getreten.

Aber die Linie der Liebe endet auch nach der entgegengesetzten Seite in der Welt des Ewigen und Unendlichen. „Denn alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit.“ Faust will zuerst dem Augenblick körperlicher Liebeslust entgegenjauchzen: „Verweile doch, du bist so schön!“ bis er schließlich in der dauernden Arbeit zum Bebauen und Bewahren der Menschheitsgemeinschaft die wahre Erfüllung seiner Sehnsucht findet. In allen Wegen, auf denen die Liebeskraft des Faust Erfüllung sucht, schaut Goethe die Erosmacht, die das Faustbuch mit dem Bekenntnis schließen lässt. „Das ewig Weibliche zieht uns hinan.“ Wenn wir die uns greifbare Linie der Liebe bis ins Unendliche hinaufschreiten, so führt uns das Leben zu Gott. Wir erden nur dann zu innerer Geschlossenheit gelangen, wenn wir die Liebeslinie ausschließlich zu Gott hin, in der Richtung auf den reinen Geist, auf die höchste Bestimmung verfolgen. Nur das eine heilige Symbol einer einzigen Zweieinheit lässt uns ungestraft auch entgegengesetzt in die Unendlichkeit der letzten Tiefen hinabstoßen.

In jedem Augenblick berühren wir die jenseitige Welt. Jeder Augenblick ist ein Atemzug, der uns Ewigkeit mitteilt. Jeder Augenblick bringt uns mit Liebe in Be-

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rührung. Auch in den heiligsten Momenten der letzten körperlichen Vereinigung versinken wir in die Welt des Jenseits. Wir sind unseren eigenen Grenzen entnommen und stehen in engster Gemeinschaft mit der Geisteswelt. Jedes Einswerden zweier geistiger Wesenheiten ist ein Vorgang in der Welt der Ewigkeit. Je intensiver das Liebeserlebnis ist, umso stärker und wirksamer wird der Einfluss der transzendenten Welt auf unser Leben.

Die entscheidende Schicksalsfrage ist deshalb die nach dem inneren Charakter unseres Liebeserlebnisses, vor allem nach dem Charakter der Geisteswesen, mit denen wir uns verbunden haben. Wer es vor solchen Momenten nicht gewusst hat, ob er sich mit den Gewalten der Finsternis oder mit dem Lichte Gottes vereinigt, der wird es an den Wirkungen zu spüren haben, die diese Momente unausbleiblich mit sich bringen. Wer zur Hure geht, wird ein Fleisch und ein Geist mit ihr. Und wer vor Gott und in Gott für alle Ewigkeit eine Zeieinheit eingeht, erfährt die Segnungen dieses heiligen Mysteriums an seinem Leibe und an seinem Geiste. Denn mit dieser Einheit der Brautschaft und Ehe hat Gott seinen Bund mit seinem Volk, die Einheit des Christus mit seiner Gemeinde verglichen. Wie der Eine Ewige der einzige Gegenstand der Hingabe seiner Gemeinde ist, und in ihr alle Kräfte der Liebe und des Geistes entfacht, so ist in der Ehe eine geschlossene Einheit gegeben, die alle Kräfte des Mannseins und der mütterlichen Fraulichkeit wachruft und entfaltet. Die Ehe als Wille zu zweien - etwas über uns hinaus zu schaffen – ist eine Teilnahme an der schöpferischen Kraft Gottes, die im Geistesleben zugleich alle unsere Energien für das Wesen Gottes und für seinen Willen, für seien Liebe zu allen wachrufen muss. Wie die Taufe als Symbol des Sterbens und des Auferstehens zu voller reiner Lebensentfaltung nur einmal vollziehbar und absolut unwiederholbar ist, so auch das Symbol der Ehe mit dem einzigen Menschen, der uns zur Erfüllung aller seiner und aller unserer Lebensmöglichkeiten gegeben ist.

So wird denn unser Liebesleben zu unserem Schicksal im schwersten Sinne des Wortes. Entweder schleudert es uns in den höllischen Abgrund dämonischer Selbstzerstörung, in dem unsere Heiligstes und Bestes verloren geht. Der Eros ist satanische Lust, ganz Begierde geworden. Oder es erhebt uns in die reinen Höhen des Lichtes Gottes, wo wir unsere Bestimmung und Berufung erfüllt finden. Alle Erosgebiete sind von Gott in Besitz genommen.

Wenn wir hier nun gefragt werden, wie es mit denen steht, die niemals das Glück der Zweiheit nach Leib, Seele und Geist finden können, so stehen wir auch hier vor dem Geheimnis edelster Berufung der Gottesliebe. Es bedarf nur eines Anstoßes aus der Welt der ewigen Kräfte; und Menschen, die sich in ihrer enttäuschten oder versagten Begierde tief unglücklich wussten, dringen zu einer Entscheidung durch, die sie vollkommen glücklich macht. Wer sich nach dem ihm verschlossenen Liebesgarten sehnt und an seinen versperrten Toren rüttelt, kann dieses Geheimnis nicht gewinnen.

Aber es mag jemanden durch bittere Erfahrungen der Weg zur Ehe versperrt sein, - andere mögen in invertierter Veranlagung keinen Zug zum anderen Geschlecht empfinden – sie alle können ihr Lebensglück in ungeahnter Fülle gewinnen, wenn in ihnen die heiligste Entschlossenheit der Gottesliebe durchbricht. Keine Liebesenergie soll ungenutzt vergehen. Keine Lebenskraft darf verdrängt werden. Aber es gilt, aus der dumpfen Kammer, aus der rauchigen Stadt, aus der Niederung der Nebel, Dünste und Süchte emporzusteigen, damit der Blick frei wird, das Herz sich weitet und die Lunge reine Luft atmet. Es gilt, alle Energien in höchste, reinste

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Kräfte umzusetzen, um sie ungebrochen und ungehemmt entfalten zu können. Es gibt eine völlige Befreiung von dem begehrlichen Eros, wenn der Eros sich in ewiger Treue mit der Agape vermählt. Wer so dem Sexuellen ein für allemal entrinnen kann, gehört zu den Glücklichsten unter den Menschen. Sie vermögen mehr zu lieben als die anderen alle, weil sie alle ihre Kraft und Zeit frei haben, weil die Agape als Gottesliebe alle ihre Beziehungen zu allen Menschen ausschließlich beherrscht. In ihnen kann das himmlische Reich ungehemmter auf die Erde hereinbrechen, weil alle ihre Liebeslinien nur nach der einen einzigen Richtung verlaufen. Deshalb sprach Jesus von solchen, die um des Himmelreiches willen verschnitten sind, Paulus von solchen, für die es besser bleibt, nicht zu heiraten, weil ihre besondere Sendung eine besondere Ausrüstung erfordert.

Wem auch der Weg zu der einen, reinen Ehe verschlossen zu sein scheint, er soll sich nicht verbittert dem Leben und der Liebe entfremden. Er darf sein Bestes nicht ertöten. Niemals darf er sich einer Lust ergeben, die nicht alle Seiten seines besten Seins, vor allem nicht das Göttliche in ihm erwecken und entfalten kann. Er hat vielmehr die höhere Berufung überkommen, daß alle seine Liebeskräfte von der schenkenden sonnigen Gottesliebe aus belebt und entfacht werden, nimmer in besitzergreifender Lust, sondern ausschließlich in der verschwenderischen Begeisterung hingebender Schenkung. Hier greift eine Liebe zu vielen und zu allen Platz, die nichts für sich will, sondern glücklich ist im Verschenken. Und in Wahrheit wird jeder Mensch, ob er für die Männerliebe oder für die Frauenliebe veranlagt ist, ob er verheiratet oder unverheiratet ist, an wichtigen Entscheidungspunkten seines Lebens vor dieselbe Frage gestellt. In Wahrheit leben wir alle in einer gewissen Askese, die wir die höchste und umfassendste Lebensbejahung der Gottesliebe gefunden haben. Diese Askese der allumfassenden Bejahung sagt mehr und mehr Nein zur besitzergreifenden Begierde. Sie hat sich der sexuellen Sphäre endgültig entfremdet. Sie ist für das eine reine Leben der Gottesliebe entschieden, in das uns allein der Heilige Geist unterzutauchen vermag. Hier ist das gesamte Zusammenleben mit weißem Licht übergossen. Hand in Hand in reiner Freude stehen hier Jungen und Mädchen, Männer und Frauen, vor dem großen Tor, das ihnen der Himmel für die Erde geöffnet hat. Sie leiten einander zu ihrer höchsten Berufung, zu jenem Leben der Liebe, das alle Besitztümer und Kräfte an alle verschenkt, ohne sich selbst jemals verlieren zu können.

Wir dürfen uns nicht wundern, daß eine so reine Gemeinschaft in kristallklarer herzlicher Zuneigung so oft für unmöglich gehalten wird. Denn das Liebesleben vieler kennt nur das Triebleben der körperlichen Begierde. Gewiß ist auch in der häßlichsten sinnlichen Lust ein göttlicher Funke höherer Liebeskräfte verborgen. Aber wo der begehrliche Wille das Kennzeichen des Liebeslebens, des gesamten Gedankenlebens und der letzten geheimen Sehnsucht ist, bleibt die Liebe von der tierischen und von der dämonischen Sphäre unseres Seins beherrscht. In diesem Zustand gelangt niemand zu der Höhe wahren Menschentums und frischer Jugendlichkeit, zu der doch ohne Ausnahme jeder Mensch berufen ist. In einer solchen Tiefenlage muß sich das Seelenleben unfähig erweisen, die Liebe zur Treue ausreifen zu lassen, die doch die einzige Erfüllung einer Liebesgemeinschaft sein kann. Die höchste und letzte Liebe, die als ewige und unendliche Kraft über uns ausgegossen wird, will auch unsere körperlichen Liebeskräfte durchdringen und bejahen; aber sie kann es nicht ertragen, daß wir in tierischer Sinnlichkeit geknechtet bleiben. Sie will uns nicht von körperlichen Zuständen abhängig wissen; sondern sie will uns in die höchsten Sphären der göttlichen Freiheit und der göttlichen Reinheit heben, von denen aus und zu denen hin sich alles Lebendige bewegt.

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Deshalb freuen wir uns über jene Eroskräfte, die nicht mit schwüler "Erotik" verwechselt werden können. Bei dem griechischen Eros handelt es sich nicht um eine rein körperliche Sexualität, sondern um seelische Gemeinschaftserlebnisse, die einer relativ reineren Luftschicht angehören. Die reinste Luft der Liebe ist jedoch der Hauch des Geistes, der von Jesus ausgeht, den ein Sokrates und ein Plato nur ahnen konnten. Es sind Eroskräfte, die in der heutigen Jugendbewegung in neuer Gestaltsform zu spüren sind, Kräfte, in denen freiere Luft, frischerer Wind, ein weiterer Blick und eine gereinigte Freude herrschen. Hier ist das feinere Seelenleben innerlicher Liebesgemeinschaft über das grobe körperliche Treiben brutaler Sinnlichkeit Herr geworden. Jugendliche Menschen sind dessen inne geworden, daß alle Beziehungen unter den Menschen als körperseelische Beziehungen überall und stets Beziehungen der Liebe sind. Man wagt es, sich dieser Liebesbeziehungen in jauchzender Lebensbejahung zu freuen und in ihnen die einzig mögliche Gestaltung der Gemeinschaft und des Lebens überhaupt zu erfassen; aber nur hier und da ist dieses seelische Aufsteigen der geheimsten Kräfte in die Gebiete des Geistes bis zu Christus durchgedrungen.

In der sich mehr und mehr auswachsenden Verzweigung der Jugendbewegung kann man es mit Händen greifen, wie alle von Christus fortführenden Wege in den Sumpf führen müssen. Es hat sich erweisen mÜssen, daß die Eroskräfte ohne die letzte Kraft der Agape nicht zur Reinheit führen können. Ein schamloser Nacktkultus hat jenes Mysterium entweiht, das nur der Einheit zweier Menschen als einem geheiligten Symbol gehören kann. Es gilt heute schon, in der Jugendbewegung klar von jenen abzurücken, die der großstädtischen Prostitution nur dazu entronnen sind, um der besitzergreifenden Begierde in anderer Weise ebenso erbärmlich versklavt zu sein. Das Erosgebiet scheidet sich hier dem Schauenden deutlich in zwei feindliche Lager. Die uns sichtbare Gerade des ewigen Liebeskreises verläuft hier nach unten in der Finsternis. Ebenso sicher, wie die körperseelischen Sympathien völlig von der Liebe Gottes beherrscht und rein gehalten werden können, ebenso sicher gibt es eine Versklavung des Eros in der wechselnden untreuen und seelisch schmutzigen Begierde. So weit die Jugendbewegung diesem Erosleben der Lust verfällt, ist sie verloren und erledigt. So weit sie sich aber des Eroslebens der reinen Agape freuen wird, kann sie für unser Volk und für die Menschheit zu Großem berufen sein. Die Jugendbewegung steht hier an einem Scheideweg, an welchem ihr weder Buddah, noch Laotse, noch sonst ein Inder oder Chinese, sondern in Wahrheit nur Christus Jesus helfen kann.

In den altchristlichen Kreisen begegnet man dieser Entscheidungsstunde der heutigen Jugend mit ernstesten Besorgnissen. Weil man es immer wieder erlebt hat, wie schnell die rohere Sinnlichkeit die feineren Seelenregungen überflutet, will man es nicht glauben, daß in neuen Lebensformen ein neuer freierer und reinerer Geist am Werke ist. Nietzsche hat dem Christentum vorgeworfen, es habe den Eros vergiftet, es habe ihm seine Unschuld genommen. Daran sei der Eros gestorben. Auf große Entwicklungslinien der Kirchengeschichte trifft diese vernichtende Anklage zu. Auch in der heutigen Jugend macht sich im Kampf mit jenen gefährlichen Erweichungen und Beschmutzungen eine starke Neigung zu einer rein negativen Askese bemerkbar. Aber Jesus wollte das nicht. Er hat das Leben so wenig verdächtigt, daß er alle seine Kräfte, von der Gottesliebe überstrahlt, durchdrungen und beherrscht, aufs freudigste bejaht hat. Er hat die Einehe und ihre Unverbrüchlichkeit hoch gestellt. Er hat sie dadurch geehrt, daß er in dem unsauberen Gedanken und in dem begehrlichen Blick ihre Entweihung

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erkannte. Seiner Gemeinde hat er die Bruderliebe in Tischgemeinschaft und Gebetsgemeinschaft und in freimütiger Aussprache die Liebe als Agape zum Kennzeichen gegeben. In seinem eigenen Leben zeigte er es, wie ihre Reinheit ohne knechtische Ängstlichkeit alle Menschenkreise umfaßt und sich ohne Befleckung überall auswirkt. Er liebte jenen reichen Jungen, als er ihn mit dem ihm allein eigenen Blick anschaute und ihn aufforderte, all seinen Reichtum zu verschenken und ihm nachzufolgen. Er liebte Johannes, der es selbst hervorhebt, daß er an seiner Brust zu Tisch gelegen hat. Er ließ sich unter dem Widerspruch seiner Gegner die Nähe solcher gefallen, die in der Liebe zu ihm Befreiung von ihrer kranken Sinnlichkeit suchten. Frauen von schlechtem Ruf durften seine Füße küssen, durften sie waschen und mit ihren Haaren trocknen; oder sie durften ihm selbst sein Haar salben und ordnen. Und noch am Kreuze schenkte er seiner Mutter einen Sohn und seinem liebsten jungen Freund eine Mutter.

Jesus hat in seinem Geist eine endgültige Überbietung des Eroslebens gebracht, die von einer falschen Perspektive aus als Ertötung der körperseelischen Beziehungen mißdeutet werden konnte. Diese Überbietung ist die Offenbarung der begierdefreien Gottesliebe. Der Eros an sich ist nicht frei von der besitzergreifenden Lust. Er ist deshalb nicht frei von der Eifersucht gegen das Lieben und das Geliebtwerden der anderen. Er ist an sich nicht frei von Prahlerei und Aufgeblasenheit. Er kann das Zartgefühl und seelische Reinheitsempfinden verletzen. Denn er sucht an sich noch das Seine. Er steht nicht für die Gerechtigkeit und Wahrheit ein, weil er in seinem eigensten Wesen Partei und parteiisch bleiben muß. Eben deshalb kann er von sich aus nicht mit jener Gesinnung eins werden, die alles glaubt und alles hofft und alles zu dulden vermag. Der Eros kann sterben. Er kann erkranken und vergiftet werden. Denn er ist von dieser Welt. Platos "Gastmahl", der erhabenste Lobpreis, den die Weltliteratur dem Eros geweiht hat, muß jedem Tieferblickenden sein Kranksein von Grund aus enthüllen.

Die Liebe Gottes aber ist ewig und unvergänglich. Sie ist die größte und letzte Offenbarung des Jenseitigen im Diesseitigen. Während Begierde und Eitelkeit, Besitz und Vermögen als für das Ewige wertlos vergehen müssen, während auch die höchsten menschlichen Gaben selbst Sprache, Erkenntnis und Prophetie dieser Zeit angehören und mit ihr vergänglich sind, ist die Liebe das Leben schlechthin, Leben in jedem Sinne, völliges und ewiges Leben. Jesus hat es uns erschlossen: Die Liebe ist das Größte. Wer in ihr lebt, erfüllt das Wesen und den Willen Gottes. Denn er lebt in Gott. Gott lebt in ihm. Es gibt keine andere Gemeinschaft als die in der Liebe. Der Glaube ist nur in der Liebe lebendig. Glaube ohne Liebe ist nichts. Und wenn jemand die klarste Verkündigung und die reinste Lehre bringt und keine Liebe hat, er ist weniger als Schall und Rauch.

Diese Wärme aus dem Herzen Gottes kann in keinem Laboratorium, durch keine Beschlußfassung, durch keine Veranstaltung hergestellt werden. Kein Talmi freundlicher Bemühungen oder angestrengter Wohltätigkeit vermag dieses echte Gold nachzuahmen. Wer aus einem weißumrahmten Antlitz oder von dem Rollstuhl eines Gelähmten aus diese einzige Lebenskraft ausstrahlen fühlte, weiß es. Sie ist unabhängig von körperlicher Jugendfrische. Denn sie ist das Sein an sich. Sie ist das allein Primäre, die Urkraft der letzten Quelle. Auch sie ist, wo wir sie treffen, die Wirkung einer Ursache, nämlich die des Urseins überhaupt. Omne vivum ex vivo. Liebe erzeugt Liebe. Er hat uns zuerst geliebt, der selbst die Liebe ist. Nur aus dieser Ursache heraus vermögen wir zu lieben.

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Deshalb trägt die Liebe als Agape, im Gegensatz zu dem in sich selbst kranken Eros die Charakterzüge dessen, der sie unmittelbar über uns ausgießt. Sie kennt keine Grenzen von Raum und Zeit. Sie bricht nichts ab. Sie ist die Kraft unüberwindlicher Ausdauer. Als beharrliche Treue ist sie jeder Aufgabe gewachsen. Sie allein weiß als echte Freundlichkeit für einen jeden in jeder Lage das Rechte. Denn sie ist frei von der leidenschaftlichen Erregung des nackten Eros, der mit allen Mitteln der Eifersucht zu gewinnen oder festzuhalten sucht, was er zu lieben vermeint. Sie umkleidet unsere Liebesenergie mit dem göttlichen Licht unsagbarer Reinheit, das niemals unziemlich und häßlich sein, niemals die Scham oder das Feingefühl der Seele verletzen kann. Als Liebe Gottes ist sie frei von aller Aufgeblasenheit, von aller Scharlatanerei, von jeder Überhebung zum eigenen Vorteil. Denn sie sucht und verlangt nichts für sich, weil sie ja ganz in ihrem Gegenstand lebendig ist. Sie weiß nichts von Recht; denn ihr Wesen ist ja, jeden Rechtsstandpunkt zu verlassen und zu vergessen, um ihr Glück allein im Geben zu haben. Weil Eitelkeit und Begehrlichkeit unter ihr liegen, kann sie niemals scharf gemacht, niemals in Aufregung versetzt, niemals zur Bitterkeit gereizt werden. Weil sie in dem anderen das Wesentliche und Werdende schaut, bringt sie nichts in Rechnung, was noch schlecht an ihm ist. Und doch hat sie nichts mit Ungerechtigkeit zu schaffen. Sie konzentriert sich mit ihrer Freude ganz auf das Wesenhafte, auf das Echte, auf die Wahrheit in der Seele des Anderen. Sie schaut durch die Mauern alles dessen hindurch, was gegenwärtig noch die heilige Berufung einer Seele aufhält. Sie hat die Kraft, Deckung zu sein, alle Gefahren auszuhalten und abzuwehren, die die Bestimmung des Menschen zu verschütten drohen. Sie kann das, weil sie eins mit dem Glauben und mit der Hoffnung, weil sie ganz in Gott ist und stets in der letzten endgültigen Zukunft des Menschen lebt. Nur deshalb vermag sie, überall standzuhalten und alles zu ertragen. Als Vollkraft des Mannesalters in Christus wird sie hier und da sichtbar, niemals aber als vorübergehende Aufwallung oder oberflächliche Begeisterung.

Wer das hohe Lied der Liebe im Urtext gelesen hat, wie es Paulus niederschrieb, weiß, daß dieses Farbenspiel der ersten und letzten Liebe von ihm als der griechische Lobpreis der Agape ausgesprochen ist [1.Kor.13].

Wer etwas von dieser Liebe in seinem Inneren aufkeimen fühlt, erfährt über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg die Lebendigkeit und Ewigkeit desselben unmittelbar in ihm wirkenden Geistes. In uns wird es erst langsam Licht, daß wir zu ahnen beginnen, welches Leben uns durch die völlige Liebe erschlossen werden könnte. Wir sehnen uns nach diesem unerhörten Glück und fühlen es, was es für uns alle bedeuten muß, wenn wir dem begegnet sind, der dieses Leben ausstrahlt. Es hat keinen Religionsstifter auf dieser Erde gegeben, es ist kein Philosoph, kein Morallehrer gekommen, der diese Liebe so ausgelebt und ausgewirkt hätte wie Jesus. Wir können nicht anders zum Herzen Gottes gelangen, als wenn wir Jesus begegnen. In Christus ist die Liebe Gottes Erscheinung geworden. Der Logos ist Fleisch geworden. Jesus ist in das Leben der körperseelischen Beziehungen hinabgestiegen. Stets blieb er der königlich Schenkende, der Mann des schenkenden Reichtums.

Er kannte nur die kristallklar gereinigte Liebe des königlichen Dienstes, zu dem er in diese Welt gekommen ist, nicht um sich Menschen dienstbar zu machen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben. Er offenbarte es, daß Liebe alles vergibt und alles verschenkt. Er zeigte es, daß sie die Feinde ebenso umfaßt wie die Freunde, daß sie keine Schädigung irgend eines Gegners an seinem Besitz oder gar an seinem Leibes-

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leben kennen kann, ja daß die Liebe überhaupt von keinen Schranken des Besitzes oder Eigentums weiß. In ihm war die Liebe das Unbedingte und Absolute, nach dem wir uns alle sehnen. Sie konnte sich nie dadurch beruhigen lassen, daß irgendwelche äußeren Begebenheiten ihre Auswirkung verhindert hätten. Die Liebe Jesu ist immer und ist grenzenlos, oder sie ist gar nicht. Es gibt kein anderes Kennzeichen für Jesus und für ein Jesusleben als die Liebe. Deshalb sprach es Jesus aus: An der Liebe, die die Seinen untereinander haben würden, würde die Welt erkennen, daß sie zu ihm gehörten. Weil er sich eins mit der letzten Urquelle der Liebe wußte, mußte er sie als das Wahrzeichen seines Lebens aufrichten. Sein Kreuz ist das endgültige Geschenk der Gottesliebe. Dort ist unser liebeleeres und liebekrankes Leben erledigt. Dort beginnt das neue Leben der göttlichen Gerechtigkeit, die keine andere Gerechtigkeit als die der Liebe sein kann. Wie wir früher unsere Glieder hingegeben haben zum Dienst entarteter und erniedrigender Liebesbetätigung, so gebrauchen wir jetzt unsere Glieder zum Dienst der Gerechtigkeit, zum Dienst der völligen Liebe, die allen gehört.

Wenn wir diese tiefste und umfassendste Erfüllung unserer Liebesbedürfnisse gefunden haben, wenn unser Herz mit Liebeskräften ausgefüllt ist wie die Sonne mit ihren Feuersgluten, die sie immer wieder in die weitesten Fernen hinausschleudern muß, so sind wir befreit von der besitzergreifenden Lust. Die Vergebung und Reinigung, die Christus unserem entarteten Liebesleben schenkt, geht Hand in Hand mit dem Ausströmen seiner Liebesflut. Wer von diesem Geist umweht ist, kann sich nur in dieser Sphäre heimisch wissen, in der Jesus selbst gelebt hat. Wenn wir es in Christus erfahren, wie Gott uns liebt, suchen wir bei den Menschen nicht mehr das Geliebtwerden als das Glück unseres Lebens, sondern allein das Lieben. Diese letzte und höchste Liebe, die wir gewinnen können, gilt dem Geist und der höchsten Bestimmung des Geistes. Nur in dieser Richtung ist die Lösung des Lebensproblems zu suchen. Wo jemand mit seinen erotischen Leidenschaften ringt, soll kein Fünkchen Liebesenergie verloren bleiben, keine Lebenskraft verdrängt werden. Sondern es gilt die ganze Lebenslinie entlang ins Herz Gottes zu schauen, sich ihm zu öffnen, um auf dem ganzen Gebiet aller menschlichen Beziehungen die Liebe, seine Liebe auszuleben! Es gilt, das Erosleben ganz und ausschließlich von der Agape beherrschen zu lassen und so die Begierde aus überströmender Kraft zu überwinden.

Die Lebensgemeinschaft, die so emporwächst, kann nichts neben sich stehen lassen, was außerhalb ihrer Lebenskreise läge. Alles, was zum Leben gehört, hält sie fest. Wer dieser Sonne verfallen ist, kann ihr kein Lebensgebiet entziehen und muß mit allem, was er ist und hat, immer wieder zu ihr zurückkehren. Als der Liebesgeist über die ersten Christen kam, wurden sie ein Herz und eine Seele. Sie grüßten sich mit dem heiligen Kuß. Sie lebten in Tischgemeinschaft und besaßen alles gemeinsam. Unter ihnen wurde es offenbar, was Bruderschaft des gemeinsamen Lebens, was Freiheit des reinen Geistes bedeutet. Sie waren eine Familie geworden. An ihnen offenbarte sich das Geheimnis, daß es organische Menschengemeinschaft gibt.

Der umfassende Geist ist die Einheit aller befreiten Geister. Er wirkt die Freiheit der Seelenkräfte, die nun einander zuströmen, ohne von Sympathie und Antipathie, von Zuständen der Körper abhängig zu bleiben. Der Geist beherrscht das Einswerden der Menschen; alle Lebensgüter nimmt er in seine Gewalt.

Wo Freiheit, Reinheit und Gottesliebe herrscht, wo Christus in dem Einzelnen lebt, wo immer sein Geist alle Gaben und Kräfte entfaltet, erwächst eine lebendige Einheit, die nur als ein Leib geschaut werden kann.